Spielfilm

Wet Sand

ein Film von Elene Naveriani

CH/GE 2021, 115 Min., georgische OF mit deutschen UT

Wet Sand

ein Film von Elene Naveriani

Wie Sand am Meer

Ein Dorf am Schwarzen Meer in Georgien, mit freundlichen Menschen, die glauben, sich zu kennen. Eines Tages wird der alte Eliko in seinem Haus erhängt aufgefunden. Vor allem Amnon, der am Strand eine kleine Bar betreibt, wirkt erschüttert. Elikos Enkelin Moe reist aus Tiflis an, um die Beerdigung zu organisieren. Im Dorf stößt sie auf ein Netz von Lügen und Geheimnissen. Erst als Amnon sein Schweigen bricht, scheint ein Neuanfang möglich …

„Wet Sand“ von Elene Naveriani gibt den Außenseiter:innen des ländlichen Georgiens eine Stimme und ist ein filmisches Manifest gegen Homophobie. Seine Premiere feierte das zugleich melancholische und hoffnungsvolle Drama über Generations-übergreifende Solidarität und queere Selbstermächtigung in Locarno, wo Hauptdarsteller Gia Agumava als Bester Schauspieler ausgezeichnet wurde.

Spieltermine

Berlin

Donnerstag, 8. September, 18:00, in Anwesenheit von Agnesh Pakozdi und Cornelia Seitler

Dresden

Montag, 12. September, 18:30

Düsseldorf

Montag, 12. September, 19:00

Frankfurt am Main

Montag, 12. September, 18:30

Montag, 12. September, 19:45

Fürstenwalde

Montag, 12. September, 17:00

Halle an der Saale

Montag, 12. September, 20:00

Köln

Montag, 12. September, 19:30

München

Freitag, 9. September, 21:30

Nürnberg

Mittwoch, 14. September, 18:00

Montag, 12. September, 18:00

Stuttgart

Montag, 12. September, 18:50

Wien

Mittwoch, 14. September, 17:45

Trailer

Biografie

ELENE NAVERIANI (Regie & Co-Buch), geboren 1985 in Tiflis, Georgien, studierte von 2003 bis 2007 Malerei an der State Academy of Art in Tiflis. Während des Studiums war Elene im Kunstkollektiv LOTT tätig. 2011 folgte ein Masterabschluss in CCC (Critical Curatorial Cybermedia) an der HEAD (Haute École d’Art et de Design) in Genf, 2014 dann zudem ein Bachelorabschluss in Film, ebenfalls an der HEAD, mit dem Kurzfilm „Gospel of Anasyrma“. 2016 gründete Elene die Produktionsfirma mishkin, um eine Plattform für unabhängiges Filmschaffen zu etablieren. Als erste Produktion von mishkin entstand 2017 Elenes Film „I am Truly a Drop of Sun on Earth“, der seine Premiere in Rotterdam feierte und auf mehreren Festivals ausgezeichnet wurde. Elenes Kunst erzählt Geschichten, die von der Gesellschaft vergessen und unterdrückt werden. Elene identifiziert sich als genderfluid und bevorzugt es, mit dem nicht-binären Pronomen „they“ bezeichnet zu werden. Elene arbeitet in Tiflis und wohnt in Bern.

  • 2013

    „Father Bless Us“ (KF)

  • 2014

    „Gospel of Anasyrma“ (KF)

  • 2017

    „I am Truly a Drop of Sun on Earth“

  • 2018

    „Lantsky Papa’s stolen ox“ (KF)

  • 2019

    „Red Ants Bite“ (KF)

  • 2021

    „Wet Sand“

Interview
Im Gespräch mit Elene Naveriani

„Wet Sand“ folgt vier Jahre auf deinen ersten Spielfilm, „I Am Truly A Drop Of Sun On Earth“. In der Zwischenzeit hast du einen Kurzfilm und einen Dokumentarfilm gedreht. Was war der Ausgangspunkt für diesen zweiten Spielfilm?

Mein älterer Bruder Sandro ist Drehbuchautor, und er hatte begonnen, an diesem Skript zu arbeiten. Die Idee kam vollständig von ihm. Er fragte mich, ob ich mit ihm zusammenzuarbeiten wolle und so fingen wir an, das Projekt gemeinsam auf die Beine zu stellen und uns Gedanken zu machen zur Inszenierung. Ab einem gewissen Stadium zog Sandro es jedoch vor, dass ich alleine die Regie übernehme. In Fragen der Inszenierung neigte er immer mehr dazu, meine Konzeption des Filmemachens zu übernehmen. Es stellte sich als Geschenk heraus. In meiner Art von Kinomachen versuche ich, das Unsichtbare sichtbar zu machen, unhörbaren und untergeordneten Stimmen Gehör zu verschaffen und Randexistenzen in den Mittelpunkt zu rücken. Meine Art von Filmschaffen ist vor allem eine Sprache des Widerstands gegen das Leugnen und Vergessen. Dennoch verbleibt vieles davon, was mein Bruder beigesteuert hat, schon allein in Bezug auf die Struktur. Sandro ist ein professioneller Drehbuchautor und „Wet Sand“ ist zweifellos von allen meinen Filmen derjenige, der in Bezug auf die Erzählweise am meisten strukturiert und geordnet ist. Daher ist er vielleicht auch von allen der klassischste, obwohl dieser Begriff sehr relativ ist.

Hast du versucht, diesen Klassizismus zu brechen, zu unterwandern?

Nicht unbedingt. Ich habe es vielmehr genossen zu sehen, wie diese Strukturen funktionieren. Das passte voll und ganz zu dem Thema, und ich beobachtete mit großem Vergnügen, wie sich die Dinge auffächerten. Danach konnte ich alles dekonstruieren, jedoch mehr in den Details der Szenen selbst. In der Regie konnte ich mir die meisten Freiheiten nehmen. Es ist ziemlich interessant, von einem sehr detailliert geschriebenen Skript auszugehen und sich dann in der Regie umso freier zu fühlen. Wenn es eine Auseinandersetzung zwischen dem klassischen Weg und einem moderneren Ansatz gäbe, dann würde sich dies am meisten in der Regieführung zeigen.

Und das Casting?

Es wurde in Georgien durchgeführt. Das war ziemlich schwierig, denn das Thema war problematisch. Deswegen haben für die Hauptrollen viele professionelle Schauspieler*innen abgelehnt. Die Schwierigkeiten beim Casting waren für mich auch das Zeichen, wie wichtig es war, diesen Film an diesem Ort und zu diesem Zeitpunkt zu machen. Ich hatte keine Ahnung, wo ich den Hauptdarsteller für die Rolle von Amnon finden sollte, aber schließlich stieß ich auf einen Lateinprofessor an der Universität. Ich mochte ihn, seine Sensibilität, seine Gestik, seine Bewegungen – er entsprach genau meinen Wunschvorstellungen. Er sagte zu, trotz seiner Angst mitzumachen, denn er hatte eine ähnliche Erfahrung hinter sich. Moe ist ebenfalls keine Profi-Schauspielerin. Sie steht erstmals vor der Kamera. Die anderen kommen vom Theater, von der Straße, vom Dorf. Alle Schauspieler*innen (ich sage ungern „Nicht-Schauspieler*innen“ – denn sobald man vor der Kamera steht, wird man mit mehr oder weniger Erfahrung zur/zum Schauspieler*in), die akzeptiert haben, an dem Film teilzunehmen, wollten ihren Standpunkt zur heutigen politischen und sozialen Lage in Georgien zum Ausdruck bringen. Sie wussten, dass ihnen ihre Teilnahme Probleme im Privat- und Berufsleben einbringen konnte. Ich bin stolz auf sie. Sie sind mutige Menschen.

Wo wurde der Film gedreht?

Am Ufer des Schwarzen Meeres, in der Nähe von Poti. In einem winzigen Fischerdorf. Ein Ort, an dem nichts passiert, außer dem, was von den wenigen Einwohnern erlebt wird. Das ist in etwa das Abbild dessen, was in Georgien passiert: eine stark zentralisierte Macht und eine Peripherie, die sozusagen verlassen ist. Sandro wollte eben wegen dieser isolierten Lage dort drehen. Als ich das Dorf zum ersten Mal sah, war ich sofort einverstanden, dass es der ideale Ort für unsere Geschichte war. Sie musste unbedingt an einem weitläufigen und weit entfernten Ort stattfinden, um die Menschen, ihre Gefühle, Ängste und Kämpfe zur Geltung zu bringen. Abgesehen von den konzeptionellen Fragen ist das Dorf filmisch sehr ansprechend und hat fast universellen Charakter: Es könnte sich genauso in Süditalien, Spanien, Kroatien oder Japan befinden. Ein sprödes, abweisendes, unfreundliches Dorf. Festgefahren in seinen Traditionen, in denen man das Gefühl hat, alles sei abgestorben, bleiern. Das Gefühl, das es verströmt, ist universell. Auch der Kontrast zwischen Bewegung und Erstarrung. Eine Natur (ein Meer in Bewegung), die nie zum Stillstand kommt, die sich bewegt, spricht, sich ständig verändert und Menschen, die in ihren Traditionen und Ängsten gefangen sind. Dieser Film thematisiert auch den Generationenkonflikt, also etwas, was in Bewegung ist, und etwas, was endet und stirbt. Denn trotz der Wellen und der gigantischen Sonne bewegt sich manches überhaupt nie.

Wurde der Film großenteils in der Schweiz produziert?

Ja, ohne das anfängliche Schweizer Engagement hätte dieses Thema in Georgien keine offizielle Finanzierung erhalten. Es ist zu problematisch und wäre zensiert worden. Die Schweiz, wo ich zeitweise lebe und studiert habe (an der HEAD in Genf), bietet mir diese Gelegenheit, Georgien freimütig erzählen zu können. Es ist ein Privileg, dass mir die Menschen in der Schweiz diesen Freiraum geben, in dem ich Georgien schildern kann. Und da ich heute die meiste Zeit meines Lebens in der Schweiz verbringe, war es nur natürlich, dass der Film hauptsächlich dort finanziert wurde. Wir hatten auch eine georgische Produktionsgesellschaft mit an Bord. Es ist eine offizielle Koproduktion zwischen der Schweiz (maximage GmbH) und Georgien (Takes Film). Ich trage auch beide Länder in mir. Ich begann, hier in der Schweiz Filme zu drehen. Die Schweiz ist daher ein wichtiges Element in meinem Filmschaffen. Ich habe hier Kontakte und Kollegen, die eine wesentliche Rolle für mich spielen. Doch fühle ich den Puls Georgiens jeden Tag in mir. Was mich als Filmemacherin bewegt, berührt und wütend macht, befindet sich noch immer dort. Ich habe eine kritische, aber leidenschaftliche Beziehung zu diesem Land. Ich würde mir wünschen, dass es anders und besser wäre, aber ich will es keinesfalls verleugnen. Ich übe Kritik von innen heraus, an der Politik, der Gesellschaft und der Religion. Diese Kritik fällt mir nicht leicht. Sie ist sehr schmerzhaft für mich. Georgien bleibt mein Land. In Georgien Filme zu machen, ist meine Art, etwas für das Land zu unternehmen und nicht gegen es.

Auch die Kamerafrau ist Georgierin?

Agnesh Pakozdi ist Ungarin! Ich habe sie in Berlin kennengelernt. Von Anfang an habe ich alle meine Filme mit ihr gemacht. Wir haben ein instinktives Verhältnis. Für mich ist es einfach, mit ihr zu arbeiten, wir sind auf der gleichen Wellenlänge, sie überträgt meine Vorstellungen und Gedanken in Bilder. Es ist etwas ganz Besonderes für mich, dass ich mich auf sie verlassen kann.
Am Set verschmelzen wir sozusagen zu einem einzigen Gehirn.

Denkst du, dass sie einen Blick von außen auf Georgien beisteuert?

Eine Distanz vielleicht, aber keinen Blick, wie Touristen ihn auf unser Land werfen. Diese Frage spricht etwas an, was wichtig für mich ist: Über mehrere Jahre hinweg habe ich mich nicht mehr in Georgien aufgehalten. Dies bewirkte eine gewisse Distanz in meiner Blickweise, zuweilen fühle ich mich sogar fremd gegenüber allem, was sich dort ereignet. Manchmal aber fühle ich mich dem Land extrem nahe. Ich bringe in meine Arbeit Distanz ein, aber keinen fremden Blick. Und bestimmt keine exotische und schwarzmalerische Blickweise. Für mich ist es also notwendig, dass Agnès für ihre Bilder mit dem Land vertraut ist. Wir haben in Georgien bereits viele Filme gemeinsam gedreht, und sie macht aus ihm keinesfalls eine Postkartenidylle.

Dein Film zeigt Menschen, die leiden und gar sterben, weil sie ihre Liebe geheimhalten oder verbergen und die uralten und erstarrten religiösen und sozialen Institutionen anlügen müssen.

Genau. Eine Schicht des Filmes drückt die Notwendigkeit aus, die Traditionen zu erneuern und neue Werte zu setzen. Die patriarchalische, heteronormative Kultur, die die Gesellschaft daran hindert, sich fortzuentwickeln, propagiert die Pseudo-Identität und vernichtet die Vielfalt. Und genauso läuft es heutzutage in vielen Ländern. Aber was im Film zu sehen ist, spiegelt nur einen kleinen Teil der Situation wider. Die Realität ist dramatischer und grausamer als im Film dargestellt. Jeden Tag passiert etwas, das zeigt, dass man in Georgien nicht lieben und zusammenleben darf, wenn man nicht der Norm entspricht. Deshalb schlage ich etwas Drastisches am Ende des Films vor. Auch wir haben einen Ort, an dem wir sein dürfen und wir werden da sein, aber der Weg dorthin wird lang sein.

Welche Rechte werden LGBT+-Menschen in Georgien gewährt?

Keine. Die queere Gemeinschaft ist andauernder Repression ausgesetzt. Die Kirche spielt dabei eine Rolle, aber auch die allgemeine geopolitische Situation: Politisch richtet sich Georgien in jeder Hinsicht nach den Entscheidungen Russlands, so auch in LGBT-Fragen. Das kleine Land ist der Wucht des Kolonialismus, des Einflusses, der wirtschaftlichen Macht Russlands nicht gewachsen. Der Alltag von queeren Menschen ist heute sehr hart. Verbände und Alternativaktionen versuchen, sich zu organisieren, jedoch außerhalb des Gesetzesapparats, der eigentlich ihren Schutz gewährleisten sollte.

In dem Film taucht eine Jacke auf, die hier während unseres Gesprächs hinter dir zu sehen ist. Auf ihr steht zu lesen: Follow Your Fucking Dreams…

Ja, sie ist nicht bloß ein Requisit oder ein dekoratives Element. Ich habe sie für den Film geschaffen, und sie gab es bereits im Drehbuch. Ich wurde sehr stark von der Punk-Bewegung geprägt, die ihre Slogans als Waffe einsetzte. Das Motto der Punks war No Future. Mein Motto ist positiver: Wir brauchen diesen verdammten Traum …

Heute ist oft die Rede vom Woman gaze, vom weiblichen Blick. Gehört dein Film dazu?

Was ist der weibliche Blick? Keine Ahnung, denn ich selbst weiß nicht mehr, ob ich mich dem weiblichen oder dem männlichen Blick zuschreibe, ich habe mich „de-/identifiziert“. Das „Unbehagen der Geschlechter“ interessiert mich weitaus mehr als die essenzialistische Definition.

Denkst du, dass es einen politischen Blick gibt?

Ja, absolut. Eindeutig. Diesen Film zu machen ist eine Form von Aktivismus. Ich kann davon erzählen, was politisch heute in Georgien oder anderswo abläuft. Natürlich gibt es immer unterschiedliche Blickweisen, doch worin liegen diese Unterschiede? Kann man sie allein auf das Geschlecht, auf das weibliche Geschlecht begrenzen? Jede Regisseurin hat ihre eigene Sensibilität. Was mich interessiert ist, dass jede Person ihre Geschichte, ihre Kultur, ihre politische Kultur und ihre Struktur hat. Dies auf einen Gegensatz zwischen weiblichem und männlichem Blick zu reduzieren, ist mir zu oberflächlich. Die Unterschiede sind tiefgreifender und beziehungsreicher für mich. Ich kann nur den Blick von Elene für mich beanspruchen. Dennoch glaube ich, dass Filmen und Erzählen in der heutigen Zeit interessanter sind und weniger aus männlicher, weißer und heteronormativer Sichtweise erfolgen.

Welche Projekte hast du nach diesem Film?

Ich schreibe an zwei Spielfilmen. Einer ist eine Adaption eines feministischen Romans der georgischen Autorin Tamta Melashvili, der dieses Jahr erschienen ist: „Blackbird, Blackbird, Blackberry“. Und seit sechs Jahren arbeite ich an einem Projekt über die heilige Nino, die im 4. Jh. das Christentum nach Georgien gebracht hat. Ein komplexes, doch sehr wichtiges Projekt für mich. Es besteht ein enormer Kontrast zwischen der Verehrung dieser Frau, die im Mittelpunkt der georgischen Identität steht, und der extremen Frauenfeindlichkeit der heutigen Kirche dort. Ich schreibe meine eigene Heilige, meine eigene Nino.

Das Interview wurde im Juli 2021 von Philippe Azoury geführt.

Credits

Cast

Moe

Bebe Sesitashvili

Amnon

Gia Agumava

Fleshka

Megi Kobaladze

Alex

Giorgi Tsereteli

Neli

Eka Chavleishvili

Dato

Zaal Goguadze

Crew

Regie

Elene Naveriani

Buch

Sandro Naveriani, Elene Naveriani

Kamera

Agnesh Pakozdi

Schnitt

Aurora Franco Vögeli

Setdesign

Ketevan Nadibaize

Kostüme

Nino Injia

Make-up

Eka Chikhradze

Casting

Leli Miminoshvili

Sounddesign & Musik

Philippe Ciompi

Re-Recording Mix

Jacques Kieffer

Line Producer

Vladimer Chikhradze

Produzentinnen

Cornelia Seitler, Brigitte Hofer, Ketie Danelia

eine Produktion von maximage
mit Takes Film, SRF und SRG SSR
finanziert durch Federal Office of Culture, Zurich Film Fund, Film Funding Bern, Cultural Fund Suissimage, MEDIA Desk Suisse, Succès Passage Antenne, Succès Cinèma, Cultural Fund of Sociéte Suisse des Auteurs (SSA) und Georgian National Film Center