Coming of Age

Enzo

ein Film von Robin Campillo

Frankreich/Belgien/Italien 2025, 102 Minuten, französisch-ukrainische Originalversion mit deutschen Untertiteln

Enzo

ein Film von Robin Campillo

Hallo, Hormone

Hochsommer an der Côte d’Azur, ein Haus mit Pool und Meerblick. Eigentlich soll der sechzehnjährige Enzo die Schule beenden und studieren, wie es sich gehört. Doch im stillen Protest gegen die eigene Bourgeoisie fängt er auf einer Baustelle an – zum Missfallen seiner Familie. Aber auch sein neuer Boss ist unzufrieden mit Enzo, weil dieser selbst mit den einfachsten handwerklichen Aufgaben Probleme bekommt. Viel wohler fühlt sich der Junge bei seinem älteren Kollegen Vlad aus der Ukraine, der Enzo gerne Fotos seiner weiblichen Eroberungen auf dem Telefon zeigt. Der Arbeiter wird das männliche Vorbild, das dem behüteten Wohlstandskind vielleicht immer gefehlt hat – doch noch ganz andere Gefühle kommen zum Vorschein und machen alles komplizierter.

Wer bin ich, wenn ich nirgendwo wirklich zuhause bin? Die sonnengetränkten und sehnsuchtsvollen Bilder eines südeuropäischen Sommers erinnern fern an „Call Me By Your Name“, doch „Enzo“ wirft dabei einen von Grund auf ehrlichen Blick auf den Versuch eines Erwachsenwerdens – mit allem jugendlichen Unbehagen, das dazugehört: gegenüber der eigenen Identität, den eigenen Gefühlen, dem eigenen politischen Bewusstsein. Einfache Antworten geben und brauchen die Figuren in „Enzo“ nicht, dazu sind sie zu komplex, zu echt – so wie man es kennt, vom großen Laurent Cantet („Die Klasse“), der das Drehbuch schrieb, aber starb, bevor er den Film vollenden konnte. Die Regie übernahm sein langjähriger Filmpartner und Freund Robin Campillo („120 BPM “). 2025 eröffnete der Film die Sektion Quinzaine des Cinéastes in Cannes.

Termine

Berlin

am Freitag, 5. September um 19:00 Uhr

Dresden

am Freitag, 5. September um 17:30 Uhr

Düsseldorf

am Mittwoch, 10. September um 21:00 Uhr

Frankfurt am Main

am Samstag, 6. September um 16:30 Uhr

am Freitag, 5. September um 20:15 Uhr

Halle (Saale)

am Freitag, 5. September um 20:00 Uhr

Köln

am Freitag, 5. September um 19:30 Uhr

Leipzig

am Freitag, 5. September um 18:15 Uhr

Nürnberg

am Freitag, 5. September um 19:30 Uhr

am Samstag, 6. September um 20:30 Uhr

Potsdam

am Freitag, 5. September um 18:30 Uhr

Wien

am Freitag, 5. September um 19:30 Uhr

Interview

„Ein Film von Laurent Cantet, Regie Robin Campillo“. Was bedeutet das?

Man könnte sagen, es handelt sich bei „Enzo“ um den Höhepunkt einer langen Freundschaft. Ich habe sechs von Laurents Filmen geschnitten und war bei fünf als Co-Autor tätig. Unsere Freundschaft war in dem Sinne ziemlich einzigartig. Als Laurent dann seine Krebsdiagnose bekam, beschlossen wir, unsere professionelle Zusammenarbeit wieder aufzunehmen, sodass ich ihn in allen Produktionsphasen unterstützen konnte. Einige Wochen vor Drehbeginn verschlechterte sich sein Gesundheitszustand dann plötzlich. Laurent und seine Partnerin Isabelle beschlossen, gemeinsam mit Produzentin Marie-Ange Luciani, das Projekt trotzdem weiterzuführen. Ich sagte Laurent direkt, dass ich alles, was wir uns gegenseitig versprochen hatten, einhalten würde, aber dass ich nicht in der Lage sein würde, einen Film „im Stil von …” zu drehen. Wir waren uns darüber einig, dass Filme sich natürlich entwickeln. „Enzo“ bleibt Laurents Film, es ist sein Projekt, seine Vision von menschlichen Konflikten. Aber ich muss sagen, dass es mir eine große Freude war, seinen Film zu drehen, dieses Werk zwischen ihm und mir zu produzieren. Zumal Gilles Marchand, ein weiterer Freund und Mitarbeiter von Laurent, während der gesamten Dreharbeiten dabei war.

Wie weit seid ihr in eurer Zusammenarbeit gekommen?

Wir haben die vier Hauptfiguren gemeinsam besetzt, was den Film entscheidend geprägt hat. Beide von uns wollten unbedingt mit Élodie Bouchez arbeiten und es war uns sofort klar, dass sie die Rolle der Mutter spielen würde, die das Geschehen mit so einer Klarheit beobachtet. Für den Vater hatten wir schon früh an Pierfrancesco Favino gedacht, aber wir waren uns unsicher wegen der Sprache. Nach und nach wurde er jedoch zur einzig möglichen Wahl, denn abgesehen von seinem schauspielerischen Können fanden wir, dass es einen beunruhigenden Effekt hat, einen Vater zu inszenieren, der in seiner eigenen Familie ein wenig fehl am Platz ist. Wie schon bei anderen Projekten wollte Laurent neben den Stars auch „nicht-professionelle” Schauspieler:innen besetzen, um eine Klassenbeziehung zwischen den Figuren herzustellen. Maksym Slivinskyi hat, wie seine Rolle Vlad, früher auf einer Baustelle gearbeitet. Schon beim ersten Vorsprechen spürten wir in ihm eine jugendliche Energie, eine Melancholie und auch eine gewisse Härte, die uns bewegte. Was Eloy Pohu betrifft, könnte man sagen, dass ihn zu treffen eine Offenbarung war. Tatsächlich war er es, der uns den Film offenbart hat. Eloy ist ein hochkarätiger Wettkampfschwimmer, und es gab an ihm mehrere Dinge, die uns interessierten: Selbstdisziplin, Brüderlichkeit mit anderen Athleten, aber auch seine Vorliebe für Einsamkeit und Stille, die wir für die Figur als wichtig empfanden.

Sein erstes Schauspielengagement war also Enzo, die Titelrolle?

Eloy erlaubte es Enzo, mehr zu sein als nur das Porträt eines Teenagers im Konflikt mit seiner Familie und der Gesellschaft. Enzo hat etwas von Bartleby, eine Art Trägheit, die im Grunde eine noch radikalere Antwort auf das ist, was von ihm erwartet wird. Mit der Figur Enzo wollte Laurent das Porträt eines Lehrlings zeichnen, der sich den Zwängen des Bildungssystems und seinen Kontrollinstrumenten entzieht und dabei die Brutalität der Welt konfrontiert. Mit anderen Worten: mit der Realität des Lebens der Arbeiter:innen, sowie, durch den Kontakt mit Vlad und Miroslav, mit der lauernden Gefahr eines Krieges. Es ist, als wolle Enzo dem Ruf zu den Waffen zuvorkommen, nicht, weil er mutig ist, sondern weil er Angst vor der Welt hat, die sich vor ihm ausbreitet. Im Angesicht seiner Familie, die ihm ein friedliches Leben am Pool, in der Sonne bietet, ist er als Figur mit dem Mond, der Nacht assoziiert. Er stellt sich in der Brandung den Wellen entgegen. Er findet eine eigene Form der Romantik, die ihn von dieser Familie, mit der er sich nicht so recht identifizieren kann, befreien könnte.

Und diese besondere Romantik findet er im Schatten von Vlad.

Genau, die Figur Vlads verkörpert für Enzo diese Romantik. Auf der Baustelle ist er zuerst sein Mentor und wird bald zum Objekt seiner Begierde. Laurent und ich waren uns uneinig über die Natur dieses Begehrens. Für Laurent hat Enzo eine fluide Sexualität, die ihm jede Art von Erfahrung ermöglicht, während ich der Meinung war, dass Enzo erst durch die Fantasie des ausländischen Arbeiters eine neue Seite seiner Libido entdecken würde. Die Wahrheit ist, dass weder Laurent noch ich Bescheid wussten. Der Film fällt, wie oft das Leben, kein konkretes Urteil zum Thema. Es geht nie ums Coming-out. Enzo weiß nur zu gut, dass Vlad seine Gefühle nicht erwidert, denn Enzo ist minderjährig und Vlad hetero. Aber das Verlangen, das Enzo zu Vlad hinzieht, ist eine Hoffnung, die über einfache Fragen nach Liebe und Sex hinausgeht. Was Enzo sucht, ist ein Verbündeter im Angesicht allgegenwärtiger Ungewissheit, weshalb sein Verlangen voller Potenz ist.

Im Kontrast dazu lebt seine Familie das schöne Leben im Sonnenschein.

Die Familie ist vielleicht das willkürlichste Konstrukt der Gesellschaft. Enzo fühlt sich in seiner eigenen zweifellos wie ein Außenseiter. Laurent wollte ihn nicht als problembelasteten Teenager inszenieren, der sich mühsam den Weg zum Erwachsenwerden erkämpft, sondern als eine völlig von der eigenen Familie entfremde Figur. Natürlich hat sein Vater Recht, wenn er ihm sagt, dass er tief im Inneren „nur ein verwöhntes Kind ist, dass sich selbst etwas vormacht”, aber was Paolo quält, ist, dass er in seinem Sohn eine dunkle Seite erkennt, die er auch besitzt. Er sieht seinen Sohn daher als eine Art ständigen Vorwurf, der das soziale Wohlergehen der Familie bedroht. Enzo bleibt ihm ein Rätsel: Warum weigert er sich, sich dem unbeschwerten Lebensstil der Bourgeoisie anzupassen? Warum gibt er sich nicht damit zufrieden, sich in das beruhigende Projekt Familie einzufügen: den Sommer genießen, das Meer, die Sonne, eine Bootsfahrt, Ruinen mitten am Tag. Das Leben genießen, bevor es zu spät ist.

Biografien

LAURENT CANTET (Drehbuch) wurde 1961 in Melle geboren. Er studierte ab 1984 an der Filmhochschule IDHEC in Paris, wo er Robin Campillo kennenlernte, mit dem er bei mehreren seiner Filme zusammenarbeiten würde. Internationale Aufmerksamkeit erregte er das erste Mal 2000 mit „Der Jobkiller“ („Ressources humaines“, 2000), der mit dem César für den Besten Debütfilm ausgezeichnet wurde. Es folgten „Auszeit“ („L’Emploi du temps“, 2001), „In den Süden“ („Vers le sud“ 2006) und „Die Klasse“ („Entre les murs“, 2008), der in Cannes die Goldenen Palme gewann. Anschließend drehte er „Foxfire“ (2013), „Retour à Ithaque“ (2014), „L’Atelier“ (2017) und „Arthur Rambo“ (2022). Laurent engagierte sich politisch, beispielsweise setzte er sich für nicht-dokumentierte Arbeiter:innen ein und beteiligte sich an der Gründung von LaCinetek. Er war Mitglied des Kollektivs 50/50, das sich für Gleichberechtigung und Vielfalt in der Filmindustrie engagierte. Gemeinsam mit Robin Campillo schrieb er das Drehbuch für seinen letzten Film, „Enzo“ (2025). Laurent Cantet verstarb 2024 nach langer Krankheit in Paris.

Filmografie als Regisseur (Auswahl):

  • 2025

    „Enzo“

  • 2022

    „Arthur Rambo“

  • 2017

    „L’atelier“

  • 2014

    „Retour à Ithaque“

  • 2012

    „Foxfire“

  • 2008

    „Die Klasse“ („Entre les murs“)

  • 2006

    „In den Süden“ („Vers le sud“)

  • 2001

    „Auszeit“ („L’emploi du temps“)

  • 2000

    „Ressources humaines“, Schnitt (Regie: Laurent Cantet)

  • 1998

    „Freiwillig verbannt“ („Les sanguinaires“), Schnitt (Regie: Laurent Cantet)

ROBIN CAMPILLO (Regie, Co-Autor & Schnitt) wurde 1962 in Marokko geboren. 1983 begann er sein Studium an der Pariser Filmhochschule IDHEC. Hier lernte er Laurent Cantet kennen, mit dem er seit den späten 90er Jahren immer wieder zusammenarbeitete. Campillo war Co-Editor und/oder Co-Drehbuchautor bei allen Langfilmen Cantets seit „Freiwillig verbannt“ („Les sanguinaires“, 1998), darunter „Auszeit“ („L’emploi du temps“, 2001), „In den Süden“ („Vers le sud“, 2006), „Die Klasse“ („Entre les murs“, 2008) – Gewinner der Golden Palme von Cannes –, „Foxfire“ (2012) und „L’atelier“ (2017). 2004 führte Campillo erstmals selbst Regie: bei dem Zombiefilm „Les revenants“, der bei den Filmfespielen in Venedig uraufgeführt wurde. Sein zweiter Film als Regisseur, das Liebesdrama „Eastern Boys“, feierte 2013 ebenfalls in Venedig Premiere und wurde dort mit dem Hauptpreis der Sektion Orizzonti ausgezeichnet. „Eastern Boys“ wurde 2015 zudem für drei Césars nominiert: in den Kategorien Bester Film, Beste Regie und Bester Nachwuchsdarsteller (Kirill Emelyanov). Für „120 BPM“ (2017) wurde er außerdem in Cannes mit dem Grand Prix, der Queer Palm, dem FIPRESCI und dem François Chalais ausgezeichnet, sowie mit sechs Césars. 2019 war er Jurymitglied in Cannes und schloss sich dem Kollektiv 50/50 an, das sich für Gleichberechtigung in der Filmindustrie einsetzt. 2024 führte er Regie bei „Enzo“, dem letzten Film von Laurent Cantet. Der Film eröffnete 2025 die Sektion Quinzaine des cinéastes in Cannes.

Filmografie (als Regisseur, Autor und Editor):

  • 2025

    „Enzo“ (ein Film von Laurent Cantet), Regie, Co-Autor, Schnitt

  • 2023

    „Red Island“ ( L’Île Rouge), Regie, Drehbuch, Schnitt

  • 2017 „120 BPM“ („120 battements par minute“), Regie, Drehbuch, Schnitt
  • 2017

    „L’atelier“, Drehbuch (Regie: Laurent Cantet)

  • 2016

    „Planetarium“, Drehbuch (Regie: Rebecca Zlotowski)

  • 2014

    „Retour à Ithaque“, Schnitt (Regie: Laurent Cantet)

  • 2013

    „Eastern Boys“, Regie, Drehbuch, Schnitt

  • 2012

    „Foxfire“, Drehbuch, Schnitt (Regie: Laurent Cantet)

  • 2008

    „Die Klasse“ („Entre les murs“), Drehbuch, Schnitt (Regie: Laurent Cantet)

  • 2006

    „In den Süden“ („Vers le sud“), Drehbuch, Schnitt (Regie: Laurent Cantet)

  • 2004

    „Les revenants“, Regie, Drehbuch, Schnitt

  • 2003

    „Wer tötete Bambi?“ („Qui a tué Bambi?“), Schnitt (Regie: Gilles Marchand)

  • 2001

    „Auszeit“ („L’emploi du temps“), Drehbuch, Schnitt (Regie: Laurent Cantet)

  • 2000

    „Ressources humaines“, Schnitt (Regie: Laurent Cantet)

  • 1998

    „Freiwillig verbannt“ („Les sanguinaires“), Schnitt (Regie: Laurent Cantet)

Credits

Crew

Regie

Robin Campillo

Drehbuch

Laurent Cantet, Robin Campillo, Gilles Marchand

Kamera

Jeanne Lapoirie, A.F.C

Schnitt

Robin Campillo

Ton

Julien Tan-Ham Sicart

Grip

Ahmed Zaoui

Kostüm

Isabelle Pannetier

Maske

Catherine Bruchon

Szenenbild

Mélissa Artur Ponturo

Post-Produktion

Christina Crassaris

Regieassistenz

Célie Valdenaire

Casting

Leïla Fournier, Marie Cantet

Produktionsleitung

Diego Urgoiti-Moinot

Aufnahmeleitung

Frédéric Feraud

Produzentin

Marie-Ange Luciani

Ko-Produktion

Andrea Occhipinti, Stefano Massenzi, Jacques Audiard, Delphine Tomson, Jean-Pierre Dardenne, Luc Dardenne, Alexandre Mattiussi

Cast

Enzo

Eloy Pohu

Paolo

Pierfrancesco Favino

Marion

Élodie Bouchez

Vlad

Maksym Slivinskyi

Victor

Nathan Japy

Miroslav

Vladyslav Holyk

Amina

Malou Khebizi

Corelli

Philippe Petit

Eine Produktion von Les Films de Pierre
koproduziert von Lucky Red, Page 114, Les films du fleuve, France 3 Cinéma, Ami Alexandre Mattiussi, RTBF, BE TV & Orange und Proximus
mit Unterstützung von Canal+
in Zusammenarbeit mit Ciné+ OCS

im Verleih von Salzgeber